26 Jun Die Kunst von Schönheit und Beziehung
« Wir können in unseren Beziehungen die Banalität des Kreises erfahren. Da werden Krisen die Vertrautheit des Miteinanders stören. Und wenn die Störung zu groß ist, trennt man sich.
Doch es gilt auch hier, was für die Resonanzen einer guten Geige gilt:
Entwicklung und Gleichförmigkeit, Lebendigkeit und Banalität schließen sich aus. Es wäre die Quadratur des Kreises, Entwicklungen des gemeinsamen Lebens zu suchen, zugleich aber Überraschungen zu verneinen.
Das krisenlose Dasein, das resonanzlose Instrument, der bloße Kreis – sie haben eines gemeinsam: Sie sind ohne jede Entwicklung.
So gibt man eine unterentwickelte Beziehung auf, anstatt daran zu arbeiten.
Das beleidigt unsere Möglichkeiten, zu erforschen, zu entdecken, zu kommunizieren, zu formen, zu wachsen und zu reifen! »
Martin Schleske
Vor einigen Jahren begegnete mir ein Buch: Der Klang. Vom unerhörten Sinn des Lebens. Geschrieben von dem Geigenbauer Martin Schleske.
So sehr mich der Titel neugierig machte, so komplex offenbarte sich mir sein Inhalt, so dass sich das Lesen bis heute zu einem noch nicht abgeschlossenen Durcharbeiten entwickelte.
Das Buch gehört mir nicht einmal. Doch zeigte seine Besitzerin am Ende genauso wenig Interesse an ihm wie an mir, was das Buch sicher weniger schmerzt als mich.
Aber vielleicht gerade wegen des sehr schmerzhaften Verlustes fällt es mir im Zusammenhang mit der Kunst von Schönheit und Beziehung ein, weil das, was der Autor als wünschenswert beschreibt, im realen Leben nicht gelang.
Martin Schleske macht sich in dem Buch unter anderem auf die Suche nach der Essenz der Schönheit und entdeckt dabei etwas, was in mir sofort Resonanz fand: Schönheit entsteht aus dem Widerspruch von Vertrautheit und Fremdheit, aus dem Widerspruch des (Wieder-)Erkennens eines Musters und der Störung dieses Musters: Muster und Musterstörung.
David Ulrich schreibt in Zen Camera etwas Ähnliches: Man solle es vermeiden, Fotos von Szenen zu machen, die einem gefallen, nur weil sie hübsch sind, weil man Ähnliches schon anderswo bewundert hat: Ein Sonnenuntergang im Meer, eine schöne Blüte, eine niedliche Katze. Diese Fotos verblühen genauso schnell, wie sie aufgenommen wurden. Weil, wie Schleske in anderem Kontext sagt, sie banal sind. Sie besitzen keine Seele, drücken nichts aus.
Nun springen wir jedoch sehr leicht auf diese Klischees an, fast automatisiert. Und nicht nur das: Wir lassen uns vom Unvertrauten erschrecken, so wie viele kunstunerfahrene Menschen von abstrakten Kunstwerken. Hollywoodfilme bedienen das Klischee. Sie sind vertraut in ihrem Strickmuster und gefallen deshalb schnell und vielen. Paolo Sorrentinos « Die Hand Gottes » dagegen ist ein gutes Beispiel dafür, was Schleske mit der Essenz der Schönheit beschreibt: Man überlegt lange, ob man den Film wahnsinnig gut oder unglaublich schrecklich finden soll. Und wenn man das noch Monate später tut, darüber nachdenkt, dann hat man das Prinzip von Schönheit entdeckt.
Sorrentino beleidigt eben nicht unsere Möglichkeiten, sondern führt uns an die Grenzen dieser. Man merkt, dass der Regisseur sich intensiv mit dem Thema Schönheit auseinandergesetzt hat, es meisterhaft beherrscht.
Doch wie ein Film wie « Die Hand Gottes » wenig geeignet ist, sich in beruhigenden Vertrautheiten danieder zu legen, so sind Beziehungen jenseits der Banalität eine enorme Herausforderung. Andererseits bieten sie ein großes Entwicklungspotenzial. Mich faszinieren sie genau aus diesem Grund. Wie mich auch meine Arbeit fasziniert und begeistert, wenn sie mich herausfordert.
Oder um es mit Martin Schleskes Worten zu sagen: Alle Möglichkeiten zu nutzen, « zu erforschen, zu entdecken, zu kommunizieren, zu formen, zu wachsen und zu reifen! »
Jeder Konflikt, jedes Problem, birgt in sich die Chance, eigenes Wachstum zu ermöglichen – wenn man nicht aufgibt.
Viele Kunstwerke erschließen sich erst, wenn man ihnen mehr Zeit widmet als man möchte. David Ulrich beschreibt, wie die Harvard-Professorin für Kunst- und Architekturgeschichte Jennifer Roberts ihren Studierenden die Aufgabe gibt, sich drei Stunden vor ein Gemälde zu setzen und es zu betrachten. – Spätestens nach einer viertel Stunde kommt Langeweile auf. Der Geist möchte wandern, sich mit etwas anderem beschäftigen. Die Übung ist schwer!
Ähnlich erging es mir, als ich Kafkas « Der Prozess » las. Über weite Strecken dachte ich: « Was für ein schreckliches Buch! » Ständig kämpfte ich mit mir, die Lektüre nicht einfach abzubrechen. Erst am Ende offenbarte sich mir das Wunder dieses Buches. Ohne das Schreckliche wäre das Wunder nicht möglich gewesen. Und ohne das Ende wäre das Buch schrecklich geblieben.
Ist das nicht der eigentliche Sinn des Lebens? «… zu erforschen, zu entdecken, zu kommunizieren, zu formen, zu wachsen und zu reifen » ?