Die Narzisstin und der Hofhund

Abendstimmung im Höltigbaum, 08.08.2018

Die Narzisstin und der Hofhund

« Narzissten sind im Grunde nicht zu echter Liebe fähig. Liebe hat auch viel mit Fürsorge, Konstanz und dem Ertragen von Problemen zu tun. Das können die nicht. »

Prof. Dr. Claas-Hinrich Lammers
Facharzt für Psychiatrie [1]

Auf einer verwahrlosten Finca im mallorquinischen Hinterland begegnete eine attraktive junge Touristin mit langen schwarzen Locken und einem zarten Gesicht einem Kettenhund, der sie schwanzwedelnd und fast mit einem Lächeln im Gesicht anschaute. Die junge Touristin fühlte sich berührt, löste doch der schwarze Hund mit den dunklen Augen etwas in ihr aus.

Es tat ihr gut, wie der Hund sie ansah: Freudvoll, hoffnungsvoll. Tiere – und besonders Hunde – schauen einen oft anders an als Menschen.

Wie schön wäre es doch, diesen Blick immer genießen zu können. Und könnte sie ihn doch einfach mitnehmen, die Kette lösen, mit ihm einfach weiterziehen.

Kein Mensch war zu sehen, und der Hund schaute sie immer noch schwanzwedelnd an.

Nicht schwer, den Ring mit der Kette zu öffnen. Und wenn jemand sich beschwerte, könnte sie doch einfach behaupten, sie sei es nicht gewesen, die den Hund losmachte. Er sei ihr einfach hinterhergelaufen…

Er lief ihr hinterher. Schwanzwedelnd, freudig, beschwingt. Sie genoss es, die Freude des Hundes zu erleben. Hatte sie doch einen Begleiter gefunden, der ihr treu und klaglos folgte. Kein Mensch, der irgendwelche Ansprüche hätte, dem der Weg vielleicht zu lang und zu anstrengend wäre, der lieber in einem Restaurant säße.

Sie nahm den Hund mit, nahm ihn mit nach Hamburg, wo sie am Stadtrand wohnte – fast idyllisch, zwischen Wiesen und Weiden und reetgedeckten Häusern in der Ferne. Gleich in der Nähe erstreckte sich ein weitläufiges Naturschutzgebiet mit unzähligen Wegen, ein ehemaliges Militärgelände, das die Natur begonnen hatte, sich zurückzuerobern. Ein Paradies für Hunde. Überhaupt ein Paradies.

Und dem Hund ging es gut wie nie. Der jungen Frau ging es gut wie nie. Einen Partner suchte sie nicht mehr, denn der Hund war treuer und ergebener als ein Mensch es je hätte sein können. Er begleitete sie auf ihren Spaziergängen, die sie so sehr liebte. Und abends lag er neben ihr auf dem Sofa. Mit ihm konnte sie sogar ein wenig Körperkontakt zulassen. Etwas, was ihr sonst schwer gelang.

Das ging so ein Jahr, zwei Jahre… Dann wurde der Hund krank. Er konnte nicht mehr laufen. Und kein Tierarzt wusste Rat. Ein Monat verging, zwei Monate vergingen.

Die junge Frau fühlte sich zunehmend genervt. Dieser Hund, der keinen Nutzen mehr hatte, sie nicht mehr auf ihren Spaziergängen begleiten konnte, der nur lustlos fraß und ab und zu versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, um dann doch wieder zusammenzubrechen.

Was hatte sie sich nur gedacht, damals auf Mallorca, sich diesen Hund aufzuladen?!

Sie begann, ihn so zu behandeln, wie sie ihn nun empfand: Genervt, achtlos, desinteressiert. Der Hund blickte sie immer noch freudig und hoffnungsvoll an, wenn er sie sah.

Doch mit der Zeit erlosch sein Blick. Die junge Frau bekam nun noch weniger von dem, wonach ihr verlangte: Weder konnte der Hund sie begleiten, noch schaute er sie freudig und bewundernd an. Der Hund begann, in seiner Ecke vor sich hinzuvegetieren, während die junge Frau sich anderen Interessen zuwandte und anfing, abschätzig über ihn zu reden. Widerwillig stellte sie ihm sein Futter hin, meist fluchend und den Hund beschimpfend.

Als der Hund einmal unter sich machte, trat sie angeekelt nach ihm.

Und der Hund, er tat etwas, was er eigentlich gar nicht wollte: Er biss zu, biss in den Fuß, der ihn trat. Er biss wirklich zu. Sein Blick starrte ins Leere. Der ganze Hund erstarrte. Als wäre das Undenkbare geschehen.

Die junge Frau war außer sich. ‚Dieses undankbare Vieh!‘, dachte sie.

„Noch einmal und ich lasse dich einschläfern!“

Und der Gedanke, dass sie vielleicht sofort die Polizei rufen sollte, die den gemeingefährlichen Hund erschießen würde, bohrte sich durch ihren Kopf.

Es passierte nicht noch einmal. Aber der Hund wurde immer kränker. Und immer öfter kam der jungen Frau der Gedanke, dass es doch besser für alle sei, ihn einschläfern zu lassen.

Sie gab ihn in die Tierverwertung und spürte Erleichterung.

Verwirrt dachte sie manchmal daran, was wohl damals auf Mallorca in sie gefahren war. Hatte sie doch eigentlich nie Hunde gemocht.

Epilog

Narzissten sind keine bösen Menschen. So, wie wohl kein Mensch böse ist. Der Trappist und Mystiker Thomas Merton schreibt: « Was die Menschen zu bösen Handlungen hinzieht, ist nicht das Böse in ihnen, sondern das darin steckende Gute, das sie mit einer verzerrten Perspektive unter einem falschen Aspekt sehen. »

Narzissten wollen nicht böse sein. Auch erkennen sie nicht, dass ihre Handlungen böse sind. Vielmehr glauben sie, dass sie so handeln müssen, wie sie handeln, um sich selbst zu schützen. Für sie erscheinen die anderen als fehlerhaft, was sie ihren Opfern oft auch sehr glaubhaft zu vermitteln verstehen.

Es sind Menschen, die das Leiden nicht zulassen wollen, deren Ego viel stärker als das von anderen Menschen versucht, die Kontrolle über alles zu behalten. Um den Preis der Zerstörung von Beziehungen, von anderen Menschen und am Ende von sich selbst.

Es sind Menschen, denen Demut nicht gelingt. Die nicht zugeben können, dass sie schwach, verletzt und vielleicht im Unrecht sind.

Doch wer glaubt, Narzissten außerhalb eines therapeutischen Kontexts heilen zu können, wird damit scheitern und selbst Schaden nehmen. Sogar in der Therapie ist das ein schwieriges Unterfangen, das viel Erfahrung und Expertise in diesem Bereich erfordert.

Claas-Hinrich Lammers vergleicht die Rolle des Therapeuten in der Beziehung zu einem narzisstischen Patienten als « Beifahrer in dessen Porsche ».

Er schreibt: « Sie wollen zwar in ihrem Porsche bewundert werden, aber die Vorstellung, einen Beifahrer zu haben, der sie nicht ausschließlich bewundert, erfüllt sie mit Unsicherheit, Angst und Scham. Somit werden die Patienten auch in der therapeutischen Beziehung mit Schamgefühlen, Hilflosigkeit, Einsamkeit und Gefühlen von Angst zu kämpfen haben, und nicht zuletzt deswegen werden sie auf den Therapeuten mit ihren narzisstischen Erlebnis- und Verhaltensweisen reagieren. » [2]

Für alle jene Menschen, die Opfer von narzisstischen Beziehungen wurden, bietet der YouTube Kanal der amerikanischen Psychology-Professorin Ramani Durvasula (« Doctor Ramani ») einen reichen Fundus an Informationen und Hilfe.

 

[1] Isabel Michael (2020). Keine echte Liebe. Darum scheitern Beziehungen mit Narzissten. ntv.de

[2] Claas-Hinrich Lammers (2014). Die therapeutische Beziehung mit narzisstisch gestörten Patienten – Beifahrer in einem Porsche. In: Psychotherapie, Bd 19-1, S. 52-72.

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