Freundschaft und Liebe

Paar beim Flanieren

Freundschaft und Liebe

„Es ist vor allem eine Unterscheidung von Aristoteles, die bis heute das Nachdenken über Freundschaft und Liebe bestimmt und sich auch in neuen Publikationen zu dem Thema findet: Die Unterscheidung zwischen drei Arten der Freundschaft – der Lustfreundschaft, der Nutzenfreundschaft und der Freundschaft zwischen Guten.“

Michael Bordt SJ [1]

Es geht in diesem Blog-Artikel um Freundschaft und Liebe. Wie Aristoteles unterscheide ich nicht zwischen beiden. Dies mag einer asexuellen Perspektive auf zwischenmenschliche Beziehungen geschuldet sein und könnte Menschen, für die Sexualität eine große Rolle im Leben spielt, irritieren und verwirren. Für das Gelingen einer Liebesbeziehung oder einer tiefen Freundschaft spielen jedoch dieselben Faktoren eine Rolle, welche inzwischen psychologisch gut erforscht sind.

Doch zunächst zu Aristoteles: Menschen gehen aus unterschiedlichen Motivationen heraus Freundschaften ein, ebenso wie verschiedene Menschen unterschiedliche Motive für das Eingehen einer Liebesbeziehung haben. Stimmen diese Motive in einer Beziehung überein, stehen die Chancen gut, dass es keine Konflikte gibt.

Aristoteles unterscheidet zwischen Lustfreundschaften, Nutzenfreundschaften und Freundschaft zwischen Guten.

Lustfreundschaften

Menschen, die Lustfreundschaften eingehen, tun dies, weil sie Spaß haben wollen. Verlieren sie die Lust, weil Gewöhnung eintritt und etwas Neues verlockender wäre, der andere erkrankt oder depressiv wird, beenden sie die Beziehung.

Nutzenfreundschaften

Nutzenfreundschaften werden eingegangen, weil man sich von der anderen Person eben einen Nutzen verspricht: So mag eine Praktikantin mit dem unattraktiven Chefredakteur flirten, weil das der Karriere förderlich sein könnte, also ein Nutzen entsteht. Dem Chefredakteur dagegen geht es – wie oben erwähnt – vielleicht nur um die Lust. Böse Klischees, ich weiß. Doch sind sie aus dem Leben gegriffen und verdeutlichen gut das resultierende Problem: Eine stabile Beziehung kann daraus nicht entstehen, weil die Motive unterschiedliche sind.

Wer es weniger klischeehaft mag: Der Nachbar ist handwerklich geschickt, man selbst hat zwei linke Hände aber immer etwas zu reparieren und kein Geld – da bietet sich die Freundschaft mit dem Nachbarn an. Verunglückt dieser, sitzt fortan im Rollstuhl und kann nichts mehr reparieren, ist auch die Freundschaft nicht mehr interessant.

Lustfreundschaften und Nutzenfreundschaften haben eine gewisse Ähnlichkeit: Sie beruhen auf egoistischen Bedürfnissen, der andere wird zum Objekt.

In der Konsequenz haben sie keine Stabilität; denn fallen Lust oder Nutzen weg, von der einen oder von der anderen Seite, stirbt die Beziehung. Dazu reicht es in der Tat aus, wenn nur einer seine Bedürfnisse nicht mehr erfüllt sieht. Der andere zählt nicht.

Auch mögen Lust und Nutzen sich vermischen. Ich selbst musste einmal die schmerzhafte Erfahrung machen, einem solchen Menschen zu begegnen: Als es mir längere Zeit nicht gut ging, verlor meine damalige Partnerin sehr schnell Lust und Interesse. „Ich kann mit Depressiven nicht umgehen!“, fauchte die sonst so liebenswürdige Frau, die sich selbst als „herzenswarmer Kopfmensch“ bezeichnet.

Doch als sie erkannte, dass ich maßgeblich dazu beitragen könnte, ihre Wohn- und Veränderungswünsche zu erfüllen, war das Interesse plötzlich wieder da. – Es hielt genau solange, bis ich leise Zweifel an unseren Plänen äußerte.

Freundschaft zwischen Guten

Dass es soweit kommen konnte, war meinem Unwissen geschuldet. Damals wusste ich weder über Lust- noch über Nutzenfreundschaften. Beziehungen waren für mich seit frühesten Jahren immer etwas, was Aristoteles als Freundschaft zwischen Guten bezeichnet. Und sah ich in einem Menschen einen Nutzen, was ich durchaus tat, hätte ich nie eine Freundschaft gemimt oder die Beziehung als solche bezeichnet, sondern war um gegenseitigen Nutzen bemüht. Auch Lust erlebte ich; doch für jede Lust war ich bereit, mich dankbar, verbindlich und verantwortungsvoll zu zeigen – eben jene Dinge, die eine Freundschaft zwischen Guten ausmachen. Ein Mensch, der mir Freude bereitet, dessen Leid bin ich auch bereit mitzutragen.

Freundschaft zwischen Guten bedeutet Gegenseitigkeit. Sie bedeutet volles Engagement. Und so schreibt der Philosoph und Jesuit Michael Bordt folgerichtig:

„Eine Freundschaft zwischen Guten kann man nicht zu vielen Menschen haben. Aristoteles meint, es gibt im Leben eines Menschen wohl kaum mehr als ein paar solcher Freundschaften. Sie erfordern viel Zeit, müssen aufgebaut werden. […] Die Freunde müssen durch Krisen hindurchgegangen sein. Sie müssen sich in ihrer Freundschaft zueinander bewährt haben. Kurz: Es geht in einer solchen Freundschaft darum, das Leben miteinander zu teilen.“ [1]

Da man Freundschaft zwischen Guten eben nur mit so wenigen Menschen haben kann, sind eher introvertierte Menschen dafür prädestiniert, da sie nur wenige andere Menschen in ihrem Leben brauchen. Vielleicht brachte eben diese Tatsache auch mich dazu, mich nur für diese Art von Beziehungen zu interessieren.

Doch welches sind die Voraussetzungen, dass tiefe Beziehungen überhaupt entstehen können?

Die Grundbedingungen tiefer Beziehungen

Beginnen wir mit dem Einfachen. Mit jenen Dingen, die bewusst im Hier und Jetzt getan oder zumindest geübt werden können, also der verhaltenstherapeutischen Perspektive.

Aufmerksamkeit, Sensibilität, Attunement

Mengya Xia und Kollegen von der Arizona State University fanden in einer aktuellen Studie [2] heraus, dass es vor allem wichtig ist, dass beide Partner in der Beziehung sehr aufmerksam und sensibel miteinander umgehen. Also zu schauen, wie es dem anderen geht, was er braucht, wie ich ihm Gutes tun kann.

Authentizität

Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung ist Authentizität! Zeige ich mich nicht in meinem wahren Sosein, mit allen Schwächen und Verletzlichkeiten, ist eine tiefe Beziehung unmöglich. Denn nur auf diese Weise kann ich die Erfahrung machen, angenommen und gehalten zu werden. Nur auf diese Weise gebe ich der anderen Person die Möglichkeit, mir zu zeigen, dass ich wichtig für sie bin.

Stabilität und Commitment

Die dritte entscheidende Grundvoraussetzung ist Stabilität. Mit einem Menschen, bei dem ich merke, dass es von seiner Stimmung abhängt, ob ich gerade wichtig oder unwichtig bin, kann ich keine tiefe Beziehung haben. Ich muss dagegen die Erfahrung machen können, dass die andere Person verlässlich ist, ich ihr vertrauen und mich fallenlassen kann. Gleiches muss ich bereit sein zu geben!

Wenn Aristoteles sagt, dass eine wichtige Voraussetzung für eine Freundschaft zwischen Guten ist, dass man gemeinsam durch Krisen gegangen sein muss, betrifft es genau diesen Punkt: Erst in der Krise erweist sich, ob ich der anderen Person vertrauen kann oder ob sie mich fallen lässt. Erst in der Krise erweist sich, ob ich die Stärke zeigen kann, für die andere Person da zu sein. Erst hier erweist sich, ob eine Freundschaft zwischen Guten am Ende doch nur eine Lust- oder eine Nutzen-Freundschaft war.

Nebenbei bemerkt ist interessant, wie Katzen ihr Commitment gegenüber ihren Menschen ausdrücken. Sie deuten „Krisen“ an, indem sie sehr sanft zubeißen und damit sagen: „Ich könnte dir richtig wehtun, aber ich tue es nicht, weil du mir wichtig bist!“

Das Problem der Bindungstypen

Kommen wir nun zu den schwierigeren Voraussetzungen für eine Freundschaft zwischen Guten.

Es ist den Forschern Mary Ainsworth und John Bowlby zu verdanken, dass wir heute mehr darüber wissen, warum manche Menschen in Beziehungen immer wieder scheitern. Sie fanden heraus, dass Menschen je nachdem, wie sie in ihrer frühen Kindheit von ihren primären Bezugspersonen (in der Regel ihren Müttern) behandelt wurden, verschiedene Bindungsmuster entwickeln.

Sichere Bindung

Erfuhren sie die Aufmerksamkeit und das sensible Reagieren auf die eigenen Bedürfnisse, wie es auch Xia und Kollegen in der oben zitierten Studie als für Liebesbeziehungen essenziell beschreiben, konnten sie ein so genanntes sicheres Bindungsmuster entwickeln. Sie bekamen also die perfekten Voraussetzungen genau dies später auch als Erwachsene in Beziehungen zu leben.

Ängstliche und vermeidende Bindung

Erfuhren sie dagegen von ihren Müttern kein solches „Attunement“ entwickelten sie entweder ein vermeidendes oder ein ängstliches Bindungmuster.

Vermeidend gebundene Menschen lassen sich emotional erst gar nicht auf tiefe Beziehungen ein. Sie mögen vorgeben, eine Beziehung zu haben, doch wissen sie, dass der Notausstieg für sie jederzeit unproblematisch ist. Sie können Liebesbeziehungen ohne großen Schmerz beenden. Sie würden auch nie um eine Beziehung kämpfen.

Ängstlich gebundene Menschen hingegen haben das Gefühl, dass die Beziehung jederzeit zu Ende sein kann, egal, was sie tun. In der Folge können sie unangebrachte Eifersucht entwickeln, welche die Beziehung belastet. Oder noch schlimmer: Sie wählen als Partner oft vermeidend gebundene Menschen, weil ihre Mütter genau dieses Verhalten zeigten, es ihnen also vertraut erscheint.

Verhaltenstherapeutische Lösungsansätze

Die gute Nachricht ist: Wir sind unseren frühkindlichen Bindungsmustern nicht hilflos ausgeliefert. Wir sind es nur so lange, wie sie uns nicht bewusst sind.

Die notwendige Bewusstheit kann man in einer Psychotherapie erlernen. Hierzu gehören Anamnese und Testdiagnostik und eine kontinuierliche Arbeit an bindungsrelevanten Alltagssituationen.

Wir müssen begreifen lernen, dass wir unseren Gefühlen, die nichts weiter als das Ergebnis unserer individuellen Lerngeschichte sind, nicht trauen dürfen. Bereits der Buddhismus lehrt, dass wir dazu neigen, die Realität fehlerhaft wahrzunehmen.

„Wir müssen zutiefst davon überzeugt sein, dass unser subjektives Empfinden uns immer wieder in die Irre führen kann.“ Matthias Ennenbach [3]

Aufbauend auf diese gesunde Skepsis gegenüber unseren eigenen Gefühlen und auf das erlernte Wissen über die Funktionsweise erfüllender Beziehungen, können wir neue und beglückendere Erfahrungen machen.

[1] Michael Bordt SJ (2018). Die Kunst, sich selbst zu verstehen. München: Elisabeth Sandmann Verlag.

[2] Mengya Xia et al. (2023). What makes people feel loved? An exploratory study on core elements of love across family, romantic, and friend relationships. Family Process, e12873.

[3] Matthias Ennenbach (2014). Der leichte Weg. Buddhistische Strategien, die in unserem Alltag funktionieren. Oberstdorf: Windpferd.

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