Heilung

Heilung

« Dans toute guérison, à un moment donné, il y a un acte de foi : on lâche ses certitudes négatives pour se jeter dans le vide… » 

Christoph André

 

« Damit wir uns selbst der Heilung überlassen, müssen in uns drei Räume gleichzeitig offen werden: der eigensinnige Kopf, das verschlossene Herz und der verteidigungsbereite Körper. » 

Richard Rohr

 

« Wir kennen unsere Feinde: Veränderungen, Skepsis und ungelöste Fragen, Kontrollverlust, das Ungewisse und Zweifel – ganz zu schweigen von der Rätselhaftigkeit des Lebens. »

Bertrand Piccard

 

« Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann. »

Anonyme Alkoholiker

 

Jede Heilung erfordert Glauben, nämlich in jenem Moment, wo man sich von unheilsamen Sicherheiten befreit und sich dem Unbekannten öffnet, das Bedürfnis nach Kontrolle aufgibt. 

Doch sich dem Unbekannten zu öffnen, macht zunächst einmal große Angst. An dieser Angst müssen wir oft viele Male scheitern, bevor uns die Öffnung gelingt. 

Die Angst vor dem Unbekannten

Das Unbekannte ist ein Dämon, düster und bedrohlich, unsichtbar und irrational. Er kommt in vielen Gewändern daher: In Form von U-Bahn-Türen, die sich schließen – ‚Was dann? Ich kann nicht mehr raus.‘ In Form von Körpersymptomen – ‚Und wenn es ein Tumor ist?‘ Oder in Form von Bindungsangst: „Nur hält das dieser Teil nicht aus, der Teil, der keine Ungewissheit erträgt, keine Abhängigkeit, der Kontrolle will – um jeden Preis! Lieber zerstörerisch handeln, als den Handlungen und Entscheidungen eines anderen ausgeliefert zu sein.“

Die Angst ist die Folge von zwei Arten mangelnden Glaubens: Ganz wissenschaftlich betrachtet, zunächst der fehlende Glaube an sich selbst, der fehlende Glaube daran, das Unbekannte bewältigen zu können. ‚Ich halte es aus, wenn die U-Bahn-Türen sich schließen. Ich spüre die Angst, aber ich halte sie aus. Ich schaffe es, mich selbst zu beruhigen. Ich steige nicht sofort wieder aus.‘ ‚Und wenn es ein Tumor ist, dann bewältige ich auch das.‘

Die zweite Art fehlenden Glaubens ist jene an das positive Wirken einer höheren Macht. Der Glaube daran, dass alles, was geschieht, einen Sinn hat, dass alles, was geschieht, am Ende zur Heilung führt. Jenen Glauben entwickeln die meisten Menschen erst, wenn sie älter werden. Als Kind wurde uns beigebracht: „Sei auf der Hut, mach keine Fehler, sonst wird es dir schlecht ergehen!“ Als ob der alttestamentarische strafende Gott der Gott der Kindheit wäre, und der vergebende Gott des Neuen Testaments der Gott der Weisheit. 

Die Dialektik der Heilung

Um Heilung zu erfahren, brauchen wir beide Arten des Glaubens. Wir müssen lernen, an uns selbst zu glauben (Selbstwirksamkeitserwartung). Und wir müssen lernen, uns dem Schicksal hinzugeben, in der Geisterbahn sitzen zu bleiben, auch wenn sie uns Höllenangst einjagt, wir also den Glauben an unsere eigenen Bewältigungsfähigkeiten verlieren. 

An dieser Stelle entsteht ein Paradoxon, weil zwei Ebenen aufeinandertreffen, die beide auf ihre Weise wahr sind, sich jedoch aus einem anderen Blickwinkel widersprechen. 

Die eine Ebene ist das Vertrauen in sich selbst: Ich habe den Mut und die Fähigkeiten, mich dem Unbekannten zu stellen. 

Die andere Ebene beinhaltet das Loslassen aller Erwartungen in seine eigenen Fähigkeiten und die Hingabe an eine höhere Macht: ‚Ich lasse mich fallen, schaue, was geschieht, auch wenn es mir furchtbare Angst bereitet.‘

Das Paradoxon lässt sich jedoch dialektisch lösen. Beides ist nur in der Synthese hilfreich und gerät zu Lebensirrtümern, hält man an nur einer Auffassung fest. 

Der Feind ist jedoch niemals die Welt und sind niemals die anderen. 

Die wahren Feinde liegen in einem selbst: 

Bertrand Piccard schreibt: „Wir kennen unsere Feinde: Veränderungen, Skepsis und ungelöste Fragen, Kontrollverlust, das Ungewisse und Zweifel – ganz zu schweigen von der Rätselhaftigkeit des Lebens.“

Der wahre Feind ist das eigene Ego, das Kontrolle um jeden Preis will, das sich nicht „den Winden des Lebens“ (Piccard), die wir eh niemals kontrollieren können, anvertrauen will. 

Das Ego ist der eigensinnige Kopf, der glaubt, schon zu wissen, wie es richtig ist. Der verteidigungsbereite Körper will mit dem Ego in den Kampf gegen die böse Welt ziehen. 

Wurzel beider Übel ist das verschlossene Herz. Solange es sich nicht öffnet, wird es leiden. Würde es sich öffnen, erführe es die Gnade Gottes. Weniger spirituell ausgedrückt: Würde es sich öffnen, könnte es in Resonanz mit dem Guten in der Welt gehen, das Gute erfahren und erleben. 

Man mag das mit dem Konzept der selbsterfüllenden Prophezeiungen beschreiben oder als tuning in to positive morphogenetic fields. – Auf Deutsch lässt sich das nicht so prägnant formulieren: Wie einen Radiogerät stellt man seine Seele auf positive morphogenetische Felder (Sheldrake) ein. 

Annahme, Verständnis und Liebe

Doch das eigene Herz zu öffnen ist die schwerste Aufgabe überhaupt. Meist hat es seit Kindertagen unzählige Verletzungen erfahren. Aus diesen Verletzungen konstituierte sich das Ego, welches sich auf seine Fahnen schrieb, sich nicht mehr verletzen zu lassen. Das Herz begann, sich zu verschließen. Es wurde zum Angstpatienten im Vermeidungsverhalten. 

Genau hier setzt das heilsame Konzept der Anonymen Alkoholiker an: Eine Gemeinschaft, die annehmend und verständnisvoll miteinander umgeht, deren Glaubenssätze die Allmachtsphantasien des Egos massiv infrage stellen und Schwäche nicht abwerten, sondern demütig begleiten.

Ähnliches erzählt Matthieu Ricard von seinen Lehrern Kangyur Rinpoche und Khyentse Rinpoche. Die für ihn unglaubliche Erfahrung von Gutartigkeit und Annahme. 

Heilung gelingt nur in der zwischenmenschlichen Begegnung, im Erfahren von Annahme, Verständnis und Liebe. 

Heilung gelingt niemals aus der Selbstüberschätzung des Egos heraus: Die Wahrheit besitzen. Das Richtige zu tun glauben. Die beste Methode, die beste Therapie wählen. 

Heilung gelingt nur über die Öffnung des eigenen Herzens: Sich selbst und anderen vergeben lernen. Erkennen, dass die Welt kein schlechter Ort, die Mitmenschen nicht böse sind. Dass es uns doch allen gleich ergeht. 

Heilung gelingt aus Demut heraus. 

Die Zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker sind ein wunderbares Regelwerk, wie Öffnung und Heilung gelingen können – nicht nur für Alkoholiker, sondern für alle leidenden Menschen. 

Zwölf Schritte

1. Schritt: Wir haben zugegeben, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.

2. Schritt: Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.

3. Schritt: Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes, wie wir ihn verstanden, anzuvertrauen.

4. Schritt: Wir machten eine gründliche und furchtlose moralische Inventur von uns selbst.

5. Schritt: Wir gestanden Gott, uns selbst und einem anderen Menschen die genaue Art unserer Verfehlungen ein.

6. Schritt: Wir wurden vorbehaltlos bereit, unsere Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.

7. Schritt: Demütig baten wir Ihn, uns von unseren Mängeln zu befreien.

8. Schritt: Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Unrecht zugefügt hatten, und nahmen uns vor, es an ihnen allen wieder gutzumachen.

9. Schritt: Wo immer möglich, bemühten wir uns aufrichtig um direkte Wiedergutmachung an ihnen, ausgenommen, es würde ihnen oder anderen Schaden daraus entstehen.

10. Schritt: Wir fuhren fort, persönliche Inventur zu machen, und wenn wir Unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.

11. Schritt: Durch Gebet und Meditation suchten wir unseren bewussten Kontakt zu Gott, wie wir Ihn verstanden, zu verbessern. Wir baten Ihn nur, uns Seinen Willen für uns wissen zu lassen und uns die Kraft zu geben, diesen auszuführen.

12. Schritt: Nachdem wir durch diese Schritte ein inneres Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft an andere weiterzugeben und uns in allen unseren Angelegenheiten nach diesen Grundsätzen zu richten.

ZAZ: Tout là haut

Künstlerisch hat all das Gesagte die Musikerin ZAZ in ihrem Lied Tout là-haut wundervoll ausgedrückt – in Worten, als auch in den Bildern des Videos. Anzuschauen auf YouTube, auch mit deutschen Untertiteln, die jedoch leider die Unvollkommenheiten maschineller Übersetzung in sich tragen. « On ne joue plus d’artifice », will zum Beispiel nicht ausdrücken, dass wir keine Kunststücke mehr machen oder keine Streiche mehr spielen, sondern eher, dass wir nicht mehr versuchen (aus Angst) zu täuschen, eben wahrhaftig werden. ZAZ spielt hier auf die Masken des Egos an.