Passion and Joy

Passion and Joy

Der Mann der später mein Beschützer wurde, fragte mich: « Wenn du nicht Biologe wärest, was wärest du dann? » 

Ich sagte: « Schmied, aber das bringt kein Geld. » 

Er entgegnete: « Nun, wenn du es leid bist zu sein, was du nicht bist, dann gehe und vergnüge dich und feiere das Leben, indem du mit einem Hammer auf Eisen schlägst. Mit der Zeit wirst du herausfinden, dass dir das mehr Zufriedenheit bringt: Es wird dir einen Sinn geben. »

« Wie folge ich dieser Tradition, von der du erzählt hast? »

« Wie ich schon sagte, durch Symbole », war seine Antwort. « Beginne damit, zu tun, was du möchtest, und alles sonst wird dir offenbart werden. Glaube daran, dass Gott eine Mutter ist, die sich um ihre Kinder kümmert und niemals zulassen wird, dass ihnen Böses geschieht. »

Paulo Coelho
Die Hexe von Portobello 

Manchmal begegnen einem tiefe Inspirationen an Orten, wo man sie gar nicht vermutet, während sie dort, wo man sie sucht, verborgen bleiben.

Im Juli 2021 rauschte der tschechische Milliardär Radim Passer in einem Bugatti Chiron mit 417 Stundenkilometern über die A2 in Richtung Berlin. Die Medienlandschaft reagierte darauf mit einem Aufschrei der Entrüstung, die Staatsanwaltschaft in der Folge mit einer Anklage ob der überhöhten Geschwindigkeit auf einer Autobahn ohne Tempolimit. « Unverantwortlich… Gefährdung von Menschenleben… Rücksichtslos… », schallte es unisono aus dem Blätterwald. 

Selbst wenig automobilphil – und wenn, dann eher zu gemächlicheren und romantischeren Modellen à la 2CV oder Citroën DS aus dem letzen Jahrhundert hingezogen – wurde ich neugierig: Warum tut das ein Mensch? Warum rast jemand in einem derartigen Tempo über eine Autobahn? Ich konnte das schwer nachvollziehen und begann, mich durch Radim Passers YouTube-Kanal zu klicken. 

Mir begegnete dort ein Mensch, der so gar nicht rücksichts- und verantwortungslos wirkte, sondern eher achtsam und bedacht, sich auf die Fahrt mit einem Gebet vorbereitend. 

Und er antwortete auf die Frage, warum er all dies tue, mit einem Satz, der oberflächlich erscheinen könnte, jedoch in der Art und Weise, wie er ihn sagte, etwas fast Magisches hatte: « It’s for passion and joy… »

« It’s for passion and joy… »
– Radim Passer

Aus Leidenschaft und Freude also. Und sein Blick spiegelte dabei genau diese Leidenschaft und Freude wider – gar nicht oberflächlich, gar nicht rücksichtslos. 

Es war ein tief berührender und inspirierender Blick. Ein Blick, den man sehr selten zu sehen bekommt. Vor allem nicht, wenn man sich im Alltag durch die Großstadt bewegt und meist in sorgenvolle Gesichter blicken muss. Oder Gesichter, die nur unter dem Einfluss von Alkohol scheinbar fröhlich wirken. Auch aggressive Gesichter, die auf der Suche nach Konfrontation zu sein scheinen. 

Doch kaum ein Gesicht spiegelt eben jene Leidenschaft und Freude wieder. Und wenn einem diese Gesichter begegnen, dann setzen sie sich tief in der Erinnerung fest: Zwei Liebende mit Down-Syndrom in der S-Bahn, ein kleines Kind beim Anblick eines jungen Hundes, meine Ex-Partnerin, als ein Pferd in wildem Galopp energiegeladen an ihr vorbeistürmte, mein Kollege Jan, wenn er über seine Projekte spricht. 

Es ist wundervoll, das zu beobachten. Es hat etwas Reines, fast Heiliges. Etwas Kindliches und Freies. Eine ansteckende und inspirierende Freude. 

Ich glaube, ich habe oft so geschaut, als ich in meinem Studium an hypermodernen und unbezahlbaren Macintosh-Rechner kreativ arbeiten durfte, multimediale Lernprogramme mitentwickeln durfte. Ich mochte meinen Dozenten, der davon in gleicher Weise begeistert war wie ich und wiederum meine Begeisterung zu schätzen wusste. Und ich habe so geschaut, als ich zum ersten Mal in meinem Leben einem Menschen begegnete, der mir in seinen Bedürfnissen und Wünschen sehr ähnlich war, mit dem ich alles teilen konnte, was mir wichtig und bedeutsam war – ein seltenes Geschenk. 

Blicke der Leidenschaft und der Freude

Warum nun sind diese Blicke so selten? 

Ich denke, weil Freude und Leidenschaft leider das Letzte sind, woran Eltern denken, was sie ihren Kindern beibringen sollten, um gut durchs Leben zu kommen. 

« „Was willst du mal werden?“, fragen Eltern ihre Kinder und meinen damit: „Womit willst du dein Geld verdienen?“ », sagte Robert Betz einmal humorig in einem Vortrag. 

Und im gleichen Vortrag: « Aufstehen, arbeiten, ablenken, hinlegen… Aufstehen, arbeiten, ablenken, hinlegen… » So sähe das Leben des durchschnittlichen Menschen aus. 

Joachim Bauer fasst denselben Sachverhalt in etwas ernsthaftere Worte:  « Der Umstand, dass über sieben Milliarden Menschen ihren Anteil an den begrenzten Ressourcen unserer Erde suchen, zwingt uns zur Arbeit, was diverse, wenig beeinflussbar Abhängigkeiten nach sich zieht. Die Notwendigkeit zu arbeiten, beschert uns einen Zustand fortwährender Geschäftigkeit, den wir Stress nennen. Auch an diesem Zustand haben sich – ähnlich wie an den Zustand des Konformismus und des andauernden Konsums – viele aber schon so gewöhnt, dass sie ihn auch dann, wenn es möglich wäre, nicht ändern. »

Die Werbung suggeriert uns, dass Konsum Leidenschaft und Freude bringen könnte. Dabei bringt er höchstens Ablenkung. 

« Câlins gratuits »

« Câlins gratuits », steht auf den Schildern, der vor Notre-Dame de Paris aufgenommenen Photographie. Kostenlose Zärtlichkeiten…

Leidenschaft und Freude zu empfinden, ist kostenlos und hat mit Konsum nur etwas zu tun, wenn man diesen sehr bewusst betreibt. 

Man mag einwenden, dass es für einen Milliardär wie Radim Passer einfach ist, Leidenschaft und Freude zu empfinden, weil er sich halt ein Auto leisten kann, das unter 4.000.000 Euro kaum zu haben ist. Doch Michael Jackson wirkte wenig glücklich mit all seinen Träumen, die er sich verwirklicht hatte. Und das verliebte Down-Syndrom-Pärchen erschien eher ärmlich und blickte dennoch bezaubert in die Welt. 

Wir lernen oft von Kindheit an in keiner Weise, bei uns zu sein und unseren Leidenschaften zu folgen. Wir lernen dagegen, dass wir Geld verdienen müssen, um konsumieren zu können, damit wir glücklich sind. 

Wir lernen nicht, dass wir Wunden in uns tragen, die geheilt werden müssen, um unseren Weg zu gehen und Glück zu erfahren. 

Wir stehen uns selbst im Weg und sterben am Ende ungelebte Leben. 

Leidenschaft und Freude sind höchst individuell und für jeden Menschen etwas anderes. Das macht es so schwer, den eigenen Weg zu finden, und macht uns so empfänglich für die Versprechungen der Werbung. 

Manchmal gehen wir intuitiv den richtigen Weg, so, wie ich den Weg zu meinem Beruf fand. 

Eine entferne Verwandte, die mich nur aus meiner Kindheit kannte, fragte mich einmal, was ich denn nun studiert hätte. Auf meine Antwort sagte sie: « Na, das wolltest du doch schon immer machen. » – Mir war das gar nicht bewusst gewesen, aber sie hatte recht: Ich wollte das schon immer machen. Und mein Beruf erfüllt mich mit großer Leidenschaft: Entwicklungen von Patienten heilsam begleiten zu dürfen, mit den Jahren oft sogar Flow zu erfahren, weil Intuition und Wissen stetig wachsen. 

Demut

Gleichzeitig ist da aber auch Demut, weil das Leben auch mich nicht mit Verletzungen verschont hat und ich die Schicksale meiner Patienten gut verstehen kann. Ebenso, weil auch meine Eltern mir nicht beibrachten, Leidenschaft und Freude zu kultivieren und diesen zu folgen. Und ebenso, weil Dinge und Menschen, die Leidenschaft und Freude bringen, oft nicht verfügbar sind. Zum Beispiel, weil Liebe nicht immer auf Gegenseitigkeit beruht. Oder, weil Dinge einem nicht gegeben sind oder sich ausschließen:

So passen meine Leidenschaften für Frankreich und die französische Sprache nicht mit meiner Leidenschaft für Sprache an sich zusammen: Ähnlich, wie es die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie einmal in einem Interview über sich sagte, kann ich mich in keiner Sprache so gut ausdrücken, wie im Deutschen, auch wenn ich dies um so Vieles lieber im Französischen täte. 

Den eigenen Weg finden…

Den eigenen Weg zu finden, eigene Leidenschaften zu entdecken und ihnen zu folgen, ist für viele Menschen keine leichte Aufgabe. Sie werden blockiert von dem, was ihre Eltern ihnen vermittelt haben, und sie blockieren sich selbst mit den angeblichen Notwendigkeiten des Lebens. 

Den eigenen Weg zu finden, bedeutet, Bewusstheit für sein eigenes Sosein und seine eigenen Bedürfnisse zu entwickeln. Und es ist sehr selten, dass dieser Weg zu einem Auto für 4.000.000 Euro führt…