Die Unterscheidung der Geister

Unterscheidung der Geister

Die Unterscheidung der Geister

„Es ist dem guten Geist eigen, Mut, Stärke, Tröstung, Tränen, Eingebungen und Ruhe zu geben, indem er alle Hindernisse beseitigt und den Weg zum Heil leicht macht; dem bösen Geist dagegen eigen, mit Unruhe, Traurigkeit und falschen Gründen zu quälen.“

„Unter Unterscheidung der Geister versteht man die Erkenntnis der verschiedenen Regungen, die in der Seele entstehen: die guten, um sie anzunehmen, und die bösen, um sie zu verwerfen.“

Ignatius von Loyola

Pünktlich zum Beginn der Erkältungssaison hat es auch mich erwischt. Ich bin krank. Nicht seit gestern, sondern schon eine Weile. Der übliche Verlauf: Erst schmerzt der Hals, dann kommt das Fieber. Die Nase schwillt zu, der Verbrauch an Taschentüchern steigt. Am Ende dann – und leider meist länger anhaltend – der Husten. Den einzigen Vorteil von Krankheit sehe ich darin, dass man mehr Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren hat. Der Geist begibt sich auf Reise, verarbeitet Gelesenes intensiver und stellt nachhaltiger Verbindungen zum eigenen Leben her: Wie bezieht sich das, was ich lese, auf meine eigene Erfahrung, meine Geschichte, meine Probleme und meine Entwicklung?

Reise in die Vergangenheit

Die Reise geht zurück in das Jahr 2020. Es mag Januar oder Februar gewesen sein. Auch da war ich krank. Viel heftiger als jetzt und auf eine Art und Weise, wie ich das bisher nicht kannte. Vermutlich hatte ich Corona, bevor das in Deutschland offiziell zum Thema wurde und bevor ich dann irgendwann offiziell Corona hatte.

Ich beschäftigte mich damals mit Ignatius von Loyola, erzählte Heike eifrig von meinen Erkenntnissen und fand es ziemlich stimmig, dass man gute und schlechte Wege daran erkennen könne, ob sie gute oder schlechte Gefühle hervorrufen. Loyola nennt das consolation bzw. Trost und desolation bzw. Trostlosigkeit.

Was ich da las, war ein psychologischen Fachbuch, und dass es Loyola eher um die Unterscheidung der guten von den bösen Geistern ging (discernimiento), als um die Wege, überstieg mein damaliges Fassungsvermögen oder passte einfach nicht zu einem solchen Fachbuch.

Überhaupt: Wer beschäftigt sich denn mit Geistern?! Esoteriker in Kreuzberger Hinterhöfen vielleicht! Oder Psychotiker!

Nein, weit gefehlt: Wir befinden uns in den Tiefen der christlichen Religion. Und Ignatius von Loyola war kein Esoteriker, sondern Gründer des Jesuitenordens (SJ), dem auch der letzte Papst, Franziskus, angehörte.

Gut, Geister gehörten für mich damals in die Kreuzberger Hinterhöfe, und ich sann mehr über Wege nach, wie sich das für Verhaltenstherapeuten gehört.

Folglich interpretierte ich Heikes plötzliche Wesensveränderung im Frühjahr 2020 auch eher verhaltenstherapeutisch. Dass dieses sonst so freundliche Menschenkind plötzlich anfing, mich anzugiften, mich in seitenlangen E-Mails runterzumachen und sich in einer 360-Grad-Wende von mir zu trennen, interpretierte ich als psychische Erkrankung.

Es sei angemerkt, dass ich nicht Frau Baerbock bin: Ich empfand die Art der Trennung wirklich als 360-Grad-Wende. Der Aussage „Ich beende die Beziehung!“ folgte „Ich will mich gar nicht trennen“, um dann wieder bei „Ich beende die Beziehung!“ zu landen. Letzteres innerhalb von drei Tagen!

Zwischenzeitlich überlegte ich, ob ihre Mutter, die geäußert haben soll, dass sie der Teufel sei, vielleicht mit dieser Aussage Recht gehabt hatte – ich schrieb bereits darüber. Zumal Heike mir selbst einmal sagte, dass sie zwar klein und niedlich sei, aber in Wirklichkeit ein Monster. Nur würde Satan sich auf diese Weise zu erkennen geben?

Gute und böse Geister

Heike war klein und niedlich. Und dass auch heftige negative Gefühle und deren Ausdruck zur menschlichen Grundausstattung dazugehören, war ihr wohl unangenehm. In der Tat konnte sie das ja wirklich gut: Ausrasten und beschimpfen. Auch sei darauf hingewiesen, dass sowohl Christentum, Buddhismus als auch verhaltenstherapeutische Forschung dies als nicht hilfreich ansehen.

Körperpsychotherapeutisch betrachtet man das anders, und meine eigene Erfahrung ist: Es kann richtig gut tun, „die Sau rauszulassen“! Auch wenn ich ein sehr sanftmütiger Mensch bin und das in Workshops erst lernen musste. Leider wandte ich das zwei Jahre nach der Trennung auch gegen Heike an: Da brachen in einem Brief an sie all die heftigen Verletzungen der vergangenen Jahre in einem Schwall unmäßiger Wut heraus. Und das tat richtig gut!

Consolation? Keinenfalls! Aber das Ego war wieder repariert! Glücklich war ich nicht, aber erleichtert und stolz. Und die bösen Geister freuten sich mit mir.

„Wenn etwas gegen die Liebe gerichtet ist, so ist in der Regel […] der Egoismus der Grund, der vom Bösen missbraucht wird. Man merkt das daran, dass diese negative Haltung, die Lieblosigkeit, einem Menschen gegenüber wächst und sich steigert.“ – Hans Buob

Über fünf Jahre später bin ich wieder bei Ignatius von Loyola und der Unterscheidung der Geister. Diesmal mit Unterstützung eines kleinen Büchleins von Hans Buob: „Die Gabe der Unterscheidung der Geister“.

Und dieses Mal habe ich begriffen, dass es wirklich um Geister geht! Die Wege – richtige oder falsche – sind eher die Folge, je nachdem, welchem Geist man begegnet und wie man mit ihm umgeht.

Und ein bisschen erinnert das auch an Corona damals:

„Satan und die bösen Geister missbrauchen eine jegliche Schwachstelle des Menschen – ob psychisch, physisch oder geistlich. Sie fragen nicht, ob sie das dürfen, sondern sie schlagen einfach zu, sobald sie eine Schwachstelle entdecken“, zitiert Buob den Psychoanalytiker und Psychologie-Professor Albert Görres († 1996).

Schwäche

Heike und ich waren schwach zu jener Zeit: Ich, weil ich mit Identität und Richtung kämpfte und einen schweren Fahrradunfall hatte, Heike, weil sie an einer nicht erkannten Zöliakie litt und körperlich immer schwächer wurde. Hinzu kamen Corona und der Lockdown, eine Stimmung von Angst und Endzeit-Apokalypse.

„Ich nenne Trostlosigkeit das Gegenteil dessen, was unter Trost gesagt wurde: Finsternis der Seele, Verwirrung in ihr, Neigung zu niedrigeren und irdischen Dingen, Unruhe durch verschiedene Bewegungen und Versuchungen, die zu Unglauben, Hoffnungslosigkeit und Lieblosigkeit führen.“ – Ignatius von Loyola

Ich erinnere mich auch, dass ich Heike immer als sehr verletzlich wahrnahm. Heike war und ist also niemals Satan. Aber ihre Verletzlichkeit machte sie empfänglich für das, was Görres als Missbrauch der Schwachstellen durch Satan beschreibt. Eben vielleicht schon damals, als sie Kind war und ihre Mutter sie als Satan empfand.

Heike geschah 2020 genau jenes, was mir zwei Jahre später mit dem bösen Brief an sie passiert war: Die bösen Geister hatten sie gepackt.

Interessant ist, dass dies genau meinem Gefühl damals entsprach: Ich hatte trotz ihrer ganzen Attacken gegen mich tiefes Mitgefühl mit ihr, niemals Wut. Die kam, wie gesagt, erst später.

Loyola rät in den Exerzitien, zu Zeiten der Trostlosigkeit keine wichtigen Änderungen in seinem Leben vorzunehmen. Doch genau das geschah damals. Es kam zu einer Trennung, die ich als so sinnlos wahrnahm und der ich mich hilflos ausgeliefert fühlte.

Verbinden statt trennen

Buob schreibt, dass man die bösen Geister immer daran erkennt, dass sie Trennendes in die Welt bringen wollen. Sie wollen zerstören, vereinzeln, trennen. Wollen uns schlechte Gefühle machen und quälen. Böse Geister drängen, machen Druck.

Die guten Geister dagegen erkenne man am Verbindenden, an den guten Gefühlen. Sie wollen Verbindung und Liebe schaffen. Auch würden sie niemals Druck machen. „Gottes Geist lässt reifen und wachsen. Er lässt uns Zeit“, schreibt Hans Buob. Und weiter:

„Die Geister der Verwirrung dagegen bedrängen, stellen ultimative Forderungen. „Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt…!“ Das sind die Geister der Verwirrung, denn das bringt einen jeden durcheinander – vor allem, wenn man das auf geistlicher Ebene ist.“

Mich bekümmern diese Geschehnisse bis heute. Und es vergeht selten ein Tag, wo ich nicht an Heike denke.

Therapeut und Patient

Eine Freundin fragte mich neulich, ob es nicht ein Machtgefälle zwischen Therapeut und Patient gibt. Der Therapeut wisse so viel über den Patienten, der Patient nichts über den Therapeuten.

Ich antwortete ihr, dass das zumindest in meinem Fall nicht zutreffe, weil ich ja auf meiner Website viel über mich schreibe. Und ehrlich gesagt will ich dieses Machtgefälle auch gar nicht. Ich schreibe hier auch, um meinen Patienten zu zeigen, dass wir alle nur Menschen sind und alle mit den gleichen Problemen kämpfen. Und es reicht, wenn ich meinen Patienten in ihrem Problem nur einen kleinen Schritt voraus bin, um ihnen zu helfen.

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